Letzter Auftritt im "Home Office"
Samstag: LA-Staatsmeisterschaften in der Südstadt
Elf nationale Starts, zehn Siege mit einer Durchschnittsweite von 65,72 Metern, im IAAF-Weiten-Ranking auf Platz fünf (mit 68,63 m), in der Weltrangliste weiterhin auf Rang drei. So liest sich die bisherige Bilanz 2020 aus der Sicht von ÖLV-Diskus-Rekordhalter Lukas Weißhaidinger. Der 28-Jährige beendet am kommenden Samstag, ab 18.15 Uhr, bei den Leichtathletik-Staatsmeisterschaften im BSFZ Südstadt seine Saison. Ab Montag ist Luki "dann mal weg und nicht erreichbar..."
Das Diskuswerfen der Männer wird als einziger Bewerb nicht auf der BSFZ-LA-Anlage ausgetragen, sondern im knapp 500 Meter entfernten Wurf-Feld, der Heim-Trainingsstätte des WM-Dritten. Der Wurfkreis ist jenem von den Olympischen Spielen 2012 in London nachempfunden. In der benachbarten Hütte hält Lukas zwischen den Trainingseinheiten Power-Naps. Eine Küche ist dort ebenso vorhanden wie ein Kaltwasserbecken und ein Büroraum für die exakte Wurf-Analyse. Jetzt kommt’s in seinem „Büro“ zum ersten offiziellen Wettkampf. 13 Starter sind genannt. Der elfte Saisonerfolg des Lokalmatadors, steht außer Frage. Der 1,96-m-Hüne und Coach Gregor Högler ziehen im Kurz-Interview eine erste Saisonbilanz.
Wie hast Du persönlich die letzten Wochen und Monate erlebt?
Lukas Weißhaidinger: „Für mich und alle anderen war es die verrückteste Saison der Karriere und mit knapp vier Monaten auch mit Abstand die kürzeste. Bis Anfang März lag ich voll auf Olympia-Kurs, war in richtig guter Verfassung. Die 30-wöchige Vorbereitung verlief ideal, d.h. ohne Verletzungen. Ich war reif für meinen ersten 70-Meter-Wurf und eine Olympia-Medaille. Die Vorzeichen hätten besser nicht sein können…“
… bis am 16. März der Lockdown kam und Du mit einem Bus voller Trainingsgeräte nach Oberösterreich heimgefahren bist. Mit welchen Gedanken?
Weißhaidinger: „Zunächst ging es mir wie allen. Die Gesundheit Deiner Familie rückt in den Vordergrund. Meine Oma ist 81 Jahre, die war Risikopatientin. Und natürlich willst du als Athlet nichts riskieren. Keiner will einen Virus einfangen, über den man noch nicht viel weiß. Schon gar nicht, wenn Du noch zu 100 Prozent im Olympia-Modus steckst. Aber dann haben sich täglich die Ereignisse überschlagen. Wir haben unser gesamtes Training seit November 2016 ausnahmslos auf Olympia ausgerichtet. Du verzichtest auf vieles, um am Tag X top in Form zu sein. Dein ganzes Umfeld ist auf Olympia getrimmt. Es heißt gesund bleiben, stärker, besser werden. Bei den Wettkämpfen geht’s um Siege, um Selbstvertrauen. Und plötzlich bricht deine Olympia-Welt wie ein Kartenhaus zusammen. Natürlich ist das ein Schock. Die Entscheidung hat sich angebahnt, aber trotzdem hat sie mich am falschen Fuß erwischt. Bevor die Spiele nicht verschoben sind, denkst du nur an den vermeintlichen Finaltag. Bei mir wäre das der 1. August gewesen. Mit einem Schlag fehlte mir die Perspektive, hieß es: Bitte noch ein Jahr warten. Das steckt man als Athlet nicht so einfach weg. Das tut weh!“
Wie lange hattest Du mit Deiner Enttäuschung zu kämpfen?
Weißhaidinger: „Ich würde es als kurzen Schockzustand beschreiben. Sobald das neue Olympia-Datum stand, hatte ich ein neues Ziel. Und dann haben wir angefangen, neue Wettkampf-Pläne zu schmieden. Es war klar, dass länger keine Auslands-Starts möglich sein werden. Also haben wir uns andere Ziele gesetzt, wollten den österreichischen Rekord brechen. Dafür fehlt im dichten IAAF-Kalender oft die Zeit. Jetzt hatten wir plötzlich massenhaft Zeit, konnten auf den richtigen Wind in Schwechat warten, haben einen zweiten Wurfkreis verlegt, um windunabhängiger werfen zu können. Das Ergebnis ist bekannt: Letztlich fehlte ein Hauch: Mein 69,95-m-Wurf war denkbar knapp ungültig, ich habe den Wurfkreis mit der Zehenspitze berührt und es selbst gar nicht gemerkt. Das war im Nachhinein betrachtet, hart. Ich hätte mir gewünscht, dass die Rekordjagd positiv ausgeht. Es spielen so viele Faktoren mit: richtiger Wind, richtige Temperaturen, dazu der ideale Wurf. Ich habe Weltklasse-Leistungen in Schwechat abgeliefert, insgesamt 3 Würfe über 68 Meter gezeigt, obwohl die Bedingungen nie ganz ideal waren. Ich war trotz COVID-19 in Top-Form.“
Gregor, wie bewertest Du als Coach die Rekordjagd im Rückblick?
Gregor Högler: „Ich war happy. Im Training hat Lukas den 70-er schon geknackt. Im Wettkampf waren es Winzigkeiten, die einen Rekord verhindert haben. Technisch gesehen, war die besten 3, 4 Würfe allesamt top. Aber die Wetterbedingungen waren in diesem Moment nicht ganz so ideal wie erhofft. Dazu kam, dass wir mit dem Lockdown gut fünf Wochen Training auf allerhöchstem Niveau verloren hatten. Du kannst ein paar Tage – per Skype, ohne persönlichen Kontakt - als Coach trainieren lassen. Aber nicht ein paar Wochen. Luki hat unter den gegebenen Umständen überragend geworfen. Mit ein bisschen Glück hätte es trotzdem mit dem ersten offiziellen 70-m-Wurf funktioniert. Nach drei doppelten Wettkämpfen, mit jeweils 12 Würfen, haben wir gemeinsam entschieden: Wir brechen die Rekordjagd ab, um keine Verletzung zu riskieren und schalten einen Gang zurück: Es hätte keinen Sinn gemacht, noch einen kompletten Formaufbau dranzuhängen. Niemand konnte uns Anfang Juli sagen, ob die IAAF-Tour startet oder nicht. Niemand gab uns gesundheitliche Vorgaben und Garantien. Da lag unsere Entscheidung schnell auf der Hand: Wir bestreiten eine Reihe von nationalen Wettkämpfen, aber es macht keinen Sinn, Lukis Kraft auszureizen, wenn es keine Wettkämpfe auf Top-Niveau gibt. Unsere Devise lautete: Wir versuchen die nationale Austrian Top-Meeting-Serie bestmöglich zu genießen, arbeiten währenddessen an technischen Kleinigkeiten. Und starten - nach einem ausgiebigen Urlaub – möglichst früh bzw. mit voll aufgeladenen Batterien in die Olympia-Vorbereitung.“
Lukas, Du hast von 11 Meetings zehn gewonnen, kommst auf eine Durchschnittsweite von 65,72 Metern. Wie zufrieden bist Du mit Dir?
Weißhaidinger: „Sehr. Wir haben viel richtig gemacht. Ich hatte jetzt ein paar Tage frei und fühle mich schon fast so, wie letztes Jahr nach dem Ende des Urlaubs. Meinem Körper hat die kurze Saison gutgetan. Trotzdem weiß ich im Kopf: Ich bin für eine Olympia-Medaille gut, kann Weiten um die 70 Meter erreichen. Ich freue mich auf den bevorstehenden Urlaub. Und ab Mitte September gilt meine volle Konzentration der 2021er-Saison, die jetzt plötzlich eine olympische ist. Eigentlich wollten Hanna (Freundin) und ich im September nach Amerika fliegen. Das haben wir storniert, der US-Trip ist auf unbestimmte Zeit verschoben.“
Was darf man sich vom letzten Auftritt, noch dazu am gewohnten Wurfkreis im BSFZ Südstadt, erwarten?
Weißhaidinger: „Ich möchte einen ansprechenden Wettkampf liefern, die 60 Meter deutlich übertreffen. Dann bin ich zufrieden!“
Högler: „Luki soll die Meisterschaften genießen und Spaß haben. Die Zeit, wo uns wieder der olympische Ernst einholt, kommt schnell genug!“
Zahlen & Fakten zur Saison 2020:
IAAF-Jahresbestenliste, Diskus: 1. Daniel Stahl (SWE) 71,37 Meter, 2. Fedrick Dacres (JAM) 69,67 m, 3. Kristjan Ceh (SLO) 68,75 m, 4. Andrius Gudzius (LTU) 68,68, 5. Lukas Weißhaidinger (AUT) 68,63 m;
IAAF-Weltrangliste: 1. Daniel Stahl (SWE) 1.464 Punkte, 2. Fedrick Dacres (JAM) 1.419, 3. Lukas Weißhaidinger (AUT) 1.380, 4. Ehsan Hadadi (IRI) 1.322, 5. Andrius Gudzius (LTU) 1.317, 6. Piotr Malachowski (POL) 1.292, 7. Alin Alexandru Firfirica (ROU) 1.286, 8. Ola Stunes Isene (NOR) 1.278, 9. Matthew Denny (AUS) 1.272, 10. Traves Smikle (JAM) 1.259.
Lukas hat in der laufenden Saison bislang 11 Wettkämpfe bestritten, davon sechs in Schwechat (waren immer Doppel-Wettkämpfe mit je 6 Versuchen und jeweils 3 Startern), alle 11 in Österreich, 10 davon hat er gewonnen, nur in St. Pölten musste er sich dem slowenischen U-23-Weltrekordler Kristjan Ceh (67,19) geschlagen geben.
Die Wettkämpfe von Lukas Weißhaidinger im Detail – Gesamt: 11: 14.6.: Schwechat, Werfer-Meeting 1: 65,94 m/Platz eins, Meeting 2: 66,70/1.;25.5.: Schwechat, Meeting 3: 68,63 (SB)/1., Meeting 4: 68,19/1.;31.5.: Schwechat, Meeting 5: 68,56/1., Meeting 6: 65,50/1.;27.6.: St. Pölten, Austrian-Top-Meeting: 64,27/2. (Sieger: Kristjan Ceh/Slo, 67,19);2.7.: Eisenstadt, Austrian-Top-Meeting, 64,22/1.;18.7.: Graz, Austrian Top-Meeting, 63,49/1.;25.7.: Ried, OÖ-Landesmeisterschaften, 63,76/1.;1.8.: Andorf, Austrian Top-Meeting, 63,71/1.
Noch ausständig: 15.8.: Südstadt, ÖLV-Staatsmeisterschaften (Diskus, 18.15 Uhr).